Verschollen in Mexiko

Die Karawane der Mütter

Ein US-Polizist steht an einem Grenzzaun. Vor ihm sitzen zwei Jugendliche im Sand.
Ein US-Polizist stellt zwei mexikanische Jugendliche zur Rede, die versucht haben, die Grenze in die USA zu überqueren (undatierte Aufnahme). © picture-alliance / dpa
Von Erika Harzer · 05.11.2016
Immer wieder macht sich die "Karawane zentralamerikanischer Mütter" auf den Weg, um in Mexiko nach verschwundenen Angehörigen zu suchen. Ihre Söhne, Töchter, Männer sind auf dem Weg aus Guatemala, El Salvador, Honduras oder Nicaragua ins Zielland USA verschollen.
"Was bedeutet: Verschwunden auf dem Transitweg in Mexiko? Das heißt, die letzte Kommunikation mit der Familie fand aus irgendeinem Ort in Mexiko statt. Danach gab es keinen Kontakt mehr und die Spur verlor sich. Was ist passiert?"
Marta Sanchez Soler zählt auf, was die Gründe sein könnten, benennt ganz simple, wie verlorene Telefonnummern oder Umstellungen der Telefonnetze. Dann streicht sie sich über die kurzen Haare, bevor sie mit eindringlichem und leicht wütendem Blick über die angestiegene Gewalt in jüngster Vergangenheit redet, über die Entführungen, die Folterungen und die vielen Morde an Geflüchteten auf der Transitstrecke durch Mexiko.
260 Personen haben sie mit der Karawane im Laufe der letzten zwölf Jahre gefunden. Doch neben der direkten Unterstützung der Mütter bei der Suche leistet Marta Sanchez mit ihrer mesoamerikanischen Migrantenbewegung eine wichtige politische Arbeit in Mexiko.

Über 25.000 Menschen gelten in als verschwunden

"Wir wollen erreichen, dass dieses Thema auf der Tagesordnung steht, damit alle wissen, was los ist, damit die Regierung weiß, was passiert - und all diesen Menschen mit ihren verschwundenen Angehörigen innerhalb Mexikos Antworten auf deren berechtigte Forderungen gibt. Sie haben das Recht, ihre Vermissten aufzufinden und für das zugefügte Leid entschädigt zu werden."
Marta Sanchez Soler aus Mexiko organisiert die "Karawane der zentralamerikanischen Mütter"; einer Organisation, die Migranten sucht, die auf dem Weg in die USA verschollenen sind.
Marta Sanchez, Organisatorin der Karawane der zentralamerikanischen Mütter© Stephan Röhl
Eine mühsame Arbeit und doch extrem wichtig in einem Land wie Mexiko, in dem der Drogenkrieg gut 80.000 Menschenleben forderte und mehr als 25.000 Menschen offiziell als verschwunden gelten. Korruption und Straflosigkeit führen dazu, dass die Aufklärungsrate von Gewaltverbrechen bei nur zwei Prozent liegen. Die von Mexiko akzeptierte Politik der Verlagerung der US-Grenze an ihre Südgrenze drängt die flüchtenden und migrierenden Menschen auf illegale Wege, auf denen sie schutzlos der organisierten Kriminalität ausgesetzt sind.
"Wir finden eher Menschen, die schon seit vielen Jahren migriert sind, die erst vor kurzem Verschwundenen liegen vermutlich in irgendwelchen klandestinen Gräbern. Wir finden auch mehr Männer als Frauen. Verschwundene Frauen sind eher Opfer von internationalen Menschenhändlern, sind vielleicht nach Russland oder China oder New York verschleppt worden."
Mit ihrer eigenen Geschichte ist für Marta Sanchez diese Entwicklung in Mexiko unerträglich.
"Ich bin Tochter spanischer Flüchtlinge, die nach der Niederlage der Republikaner nach Frankreich geflohen sind. Dort bin ich geboren."

Gegen die Abschottungspolitik Europas

Der Vater stand auf der schwarzen Liste und floh weiter nach Mexiko. Erst acht Jahre später konnte die Mutter ihm folgen und nochmals zwei Jahre später Marta. Mexiko war für sie bis zum Ende des vorherigen Jahrhunderts ein Land, das Verfolgte aus aller Welt aufnahm. Für dieses Mexiko engagiert sie sich heute auch mit der Karawane. Mittlerweile gibt es auch in Italien eine Karawane, die sich mit Unterstützung der mesoamerikanischen Migranten-Bewegung gebildet hat.
Mit internationalen Gästen aus Mittelamerika und den Maghreb-Ländern durchquert die italienische "Carovane Migranti" das Land. In Abendveranstaltungen, Gesprächsrunden und auf Kundgebungen kritisieren und verurteilen deren Teilnehmer die menschenverachtende Abschottungspolitik der Festung Europa und auch des Grenzregimes der USA. Und sie sprechen über die gemeinsamen politischen Forderungen nach legalen Wegen für die flüchtenden und migrierenden Menschen und gegen die Militarisierung des Mittelmeerraumes. Und Marta Sanchez denkt schon weiter:
"Zukünftig sollte aus dieser Bewegung der Mütter ein universelles Netzwerk entstehen. Wir arbeiten schon mit Müttern aus Tunesien zusammen und haben Kontakt zu Müttern in Algerien und Marokko. Nicht alle Verschwundenen ertrinken im Mittelmeer. Immer wieder gibt es Aussagen, dass diese Menschen in Europa angekommen sind und dann der Kontakt abbrach. Es gibt viele Verschwundene auf den Transitwegen in Europa. Überall auf der Welt suchen Mütter nach ihren Kindern. Deswegen müssen sie überall Antworten erhalten."
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